Welche Zäumung?

Zwei Berichte und ein Interview

Das ist der Anfang (Foto: privat)


Und das könnte das Ergebnis sein (Foto: www.Ramona-Duenisch.de)

Warum gebisslos reiten?

Warum sollte man denn überhaupt gebisslos reiten? Viele Leute tun das aus lauter Rücksichtnahme: um ihren Pferden nicht im Maul weh zu tun; andere, weil sich ihr Pferd im Zahnwechsel befindet; andere wiederum, weil sie erkannt haben, dass ihr Pferd gebißlos viel besser geht.

Warum mit Gebiß geritten wird, soll hier nicht erörtert werden. Darüber gibt es schon genug zu lesen. Nur übrigens kaum mal das eine: weil der Reiter Angst hat, ohne Gebiß sein Pferd nicht kontrollieren zu können. Ich fürchte, dass sich hier die Hauptklientel der Ausrüstungsindustrie befindet...

Sogar der große Jean Francois Robichon de la Guerinère, Vater aller "Klassischreiter" empfahl das Reiten mit Kappzaum solange, bis ein Pferd leicht und sicher in allen Gangarten in jeder Situation zu bewegen war... Aber das will heutzutage womöglich niemand mehr wissen.

Machen wir's doch mal praktisch: Versuchen Sie doch einmal mit einem Kugelschreiber im Mund zu joggen. Man bekommt nur sehr schwer Luft. Pferde haben mit Gebiss im Maul dasselbe Problem.

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Wissenschaftliche Studien des weltweit anerkannten Kopfspezialisten Prof. Robert Cook zeigen dies sehr deutlich. Hier zunächst einige Auszüge aus dem Buch "Eisen im Pferdemaul". Danach lesen Sie einen Artikel von Mirja Neitzke über ihren Selbstversuch, ihre problematische Stute gebißlos zu reiten. Und ein Interview mit Heinz Welz.


Prof. Robert Cook:

Gesundheitliche Auswirkungen einer Gebiss- Zäumung für Kehlkopf und Lungen

Ein Mundstück wird im Idealfall vom Pferd nur als unangenehm empfunden. Wie gut es sich mit einem Mundstück arrangiert, hängt im Wesentlichen von der individuellen körperlichen und seelischen Sensibilität, der Art des verschnallten Gebisses und der Reitweise des Reiters ab. Nur die besten Reiter, d.h. die wahren Meister verursachen ihren Pferden eventuell keine größeren Unannehmlichkeiten oder Schmerzen mit dem Gebiss, denn sie haben gelernt, es so gut wie gar nicht zu benutzen. Die Tierärztliche Hochschule Hannover hat interessanterweise in einer viel zitierten Studie nachgewiesen, dass die Mundhöhle des Pferdes grundsätzlich keinen Platz für ein Gebiss aufweist. Dieser Umstand wird noch durch die Pferdezucht der letzen Jahrzehnte verstärkt, weil die Veredelung der Warmblutzucht vornehmlich durch Vollblüter und iberische Pferde auch zu einer Verkleinerung des Kopfes bei den meisten gängigen Warmblutrassen geführt hat, wohingegen die Größe und Dicke der Gebisse weitgehend unverändert blieben.

Das Gebissstück stellt einen Fremdkörper im Pferdemaul dar, das beim Pferd sich widersprechende reflektorische Vorgänge mit den entsprechenden negativen Begleiterscheinungen auslöst. Das gemeinhin als Zeichen von Zufriedenheit interpretierte Kauen des Pferdes auf seiner Trense, das mit mehr oder weniger Speichelfluss einhergeht, ist Cook zufolge lediglich der Versuch des Pferdes, sich durch Kauen, Zungenbewegung und Speicheln eines unangenehmen Fremdkörpers zu entledigen. Während der durch das Gebiss ausgelöste Speichelfluss normalerweise dazu dient, das im Maul befindliche Futter gut einzuspeicheln und besser verdaulich zu machen, sind die Zungen- und Kiefernbewegungen die Folge von durch Schmerzreize ausgelösten Reflexen.

Wenn nun aber der Fremdkörper im Maul keine Nahrung ist, sondern das Trensengebiss und das Pferd Muskelarbeit leistet und erhöhten Bedarf an Sauerstoff hat, dann entsteht im Rachen ein Konflikt, denn die Muskulatur im Kehlbereich bekommt sowohl die Meldung, dass ein Fremdkörper im Maul eingespeichelt und geschluckt werden soll, wobei sich der Kehldeckel zum Schutz der Luftröhre schließen muss (Abb. 4a und b) als auch die Reflexmeldung, dass aufgrund von Muskelarbeit erhöhter Sauerstoffbedarf vorliegt, der nur durch das weit Stellen des Kehlkopfes und starke Atmung gedeckt werden kann. Der durch das Gebiss ausgelöste starke Speichelfluss kann beim körperlich beanspruchten Reitpferd Hustenreiz auslösen, denn der Speichel gelangt durch den weit gestellten Kehlgang mit dem Luftstrom sehr leicht in die Luftröhre.

Laut Cook entziehen sich erfahrene Pferde dieser Problematik, indem sie die Zungenwurzel zurückziehen, wodurch der Kehldeckel etwas steiler gedrückt wird und der Rachenraum sich insgesamt verengt. Speichel kann nun nicht mehr so leicht in die Luftröhre gelangen, doch zugleich wird der Luftweg eingeengt und damit die Sauerstoffversorgung des Pferdes vermindert. Keuchende Atemgeräusche und schäumende Mäuler bei Reitpferden sind Ausdruck des beschriebenen Reflexkonfliktes und eines sich daraus ergebenden akuten Sauerstoffmangels; im Freileben haben Pferde auch bei körperlicher Anstrengung ein relativ trockenes, stets geschlossenes Maul. In schwerwiegenden Fällen kommt es durch den Reflexkonflikt zu Muskelverkrampfungen im Kehlkopf, die Oberflächenschleimhaut entzündet sich (Kehlkopfentzündung) und Schluckbeschwerden und ein unnatürliches Atemgeräusch entstehen (Kehlkopfgeräusch), das sich durch eine Operation nicht – wie häufig angenommen - beheben lässt, sondern nur weiter verschlimmert. In der Mehrzahl der Fälle spielt sich alles zwischen diesen beiden Extremen ab.

aus: Hiltrud Straßer und Robert Cook. Eisen im Pferdemaul. Knirsch-Verlag, 2003. S. 13f.

Und hier finden Sie die gebisslose Zäumung

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Lesen Sie dazu auch den Artikel über
Herkunft, Sinn und Zweck des Knotenhalfters


Auf der Suche nach dem verlorenen Gebiss




Mit einem Interview von Mirja Neitzke (Textfarm) mit Heinz Welz


Und hier finden Sie die gebisslose Zäumung  

 

Die gängigen Kommentare, die Reiter zu hören bekommen, die ihr Pferd ohne Metall im Maul reiten, lauten meist so: “Ohne Gebiss kann man ein durchgehendes Pferd nicht halten”. “Damit ist man doch gar nicht versichert!”; oder: “Oh toll, aber dein Pferd ist ja auch eine Ausnahme.” Damit wären im Groben schon einmal alle Vorurteile auf dem Tisch. Die häufigsten Fragen und größten Ängste aber auch.

Angstpunkt Nummer eins ist die Frage nach der Sicherheit, vor allem bei einem schwierigen oder durchgehenden Pferd, das kein Gebiss im Maul trägt. Gelassene “Oben-ohne-Reiter” antworten darauf lakonisch, dass bislang noch kein Gebiss der Welt ein Pferd vor dem Durchgehen bewahrt hätte - und berufen sich auf den Effekt des gebogenen Genicks, mit dem ein Pferd unter Kontrolle gebracht werden kann.

Natural-Horsemanship-Schüler haben das ritualisiert, Englisch-Reiter kennen das Prinzip des Volten-Reitens, um unkontrolliertes Tempo zu drosseln – aber das ist nicht dasselbe. Bei der Volte wird das Genick in der Regel nicht ausreichend bewegt. Und eigentlich sollte sich auch herumgesprochen haben, dass korrektes Bremsen anders funktioniert, als nur am Zügel zu ziehen.

Die Steuerung mittels Gewicht- und Schenkelhilfen tut jedem Reitpferd gut, egal welche Zäumung es trägt. Irgendwie sind “die Gebisslosen“ auch ein wenig stolz darauf, ihrem Pferd das Gerucke und Gezucke und die damit verbundenen Unannehmlichkeiten im Maul zu ersparen. Aber Vorsicht, denn man kann ein Pferd auch “nasensauer” reiten, die selbige verletzen oder sogar brechen! Die Tatsache, dass ein Zaum Impulse über die Nase gibt, sagt noch lange nichts über seine Schärfe aus.

Wie etwa die mechanische Hackamore, die mittels Hebelwirkung das Pferd über die Nase steuert, aber in dem ungünstigen Ruf steht, schon diverse Nasenbeine gebrochen zu haben. Sidepulls mit Sisalseil scheuern manchmal schon beim ersten Benutzen das Fell auf, und dass ein Bosal ausdrücklich nur in sehr erfahrene Hände gehört und darüber hinaus an jedes Pferd exakt angepasst werden muss, ahnt jeder, der sich dieses Teil einmal angesehen hat.

Die Idee vom Reiten ohne Gebiss hat meist in erster Linie moralisch-ideologische Hintergründe. Von Tierschutz ist die Rede und vom Zug im Pferdemaul, den selbst die Besten der Besten aus der Kategorie “weichhändig” kiloweise auf das zahnlose Kieferstück ausüben. Für viele ist die gebisslose Zäumung zumindest eine Phase, etwa während des Anreitens oder eines Zahnwechsels. Wer danach ein Gebiss einsetzt, hat es womöglich reiterlich leichter, wenn es ans Eingemachte geht. Denn spätestens bei den ersten Seitengängen ist das Dirigieren mittels Trense für die meisten Reiter um einiges einfacher - weil sie es so gelernt haben.

Auch Versammlung ohne direkten Maulkontakt ist ungleich schwieriger. Ein Pferd so gegen die Nase zu treiben, dass es sich korrekt versammelt, aber trotzdem nicht gebremst wird, muss erst mal jemand schaffen. Was nicht heißt, dass es unmöglich ist, aber wer hat schon die notwendige Zeit und Kompetenz, seinem Pferd beizubringen, wie es sich - quasi von selbst - in die optimale Versammlungshaltung begibt? Denn hier hilft kein Schummeln und Ausbinden, entweder das Pferd trägt sich oder nicht. Regelmäßige Ausbildungseinlagen per Halsring sind immerhin ein riesiger Schritt in Richtung “Freiheit für das Maul”, den immer mehr Reiter als Kompromiss wählen.

Wer gänzlich und komplett auf Metall verzichtet, landet bei den Mitreitern recht schnell in der Öko-Ecke. Was nicht unbedingt negativ sein muss. Wie im Fall von Melanie, die im niedersächsischen Wendland einen Pferde-Schutzhof betreibt. Zu ihren Vorstellungen von Tierschutz gehört auch der Verzicht auf unnötige Lederprodukte und einengende Zäumungen. Ganz undogmatisch, aber mit viel Pferdeverstand. So wurde aus einem ausrangierten Schul-Pony mit Kinder-Phobie ein Pferdchen, das lammfromm jeden Wanderritt meistert und sich auf Freizeit-Turnieren in der Umgebung locker bei jedem Trail platziert. Einziger Kritikpunkt auf Turnieren ist stets Melanies Ausstattung: Nylonhalfter mit Schnur plus einfaches Pad aus Wolle auf dem Pferderücken. Das sieht nicht jeder Western-Richter gerne, begeistert aber das Publikum.

Was so leicht aussieht, macht Lust auf mehr. Immer mehr Freizeitreiter wollen nicht nur schöne Stunden auf ihrem Pferd, sondern haben den Anspruch, dass das Pferd sich genauso wohl fühlt. Ein Trend, der sich ausbreitet, vor allem bei Besitzern “gebrauchter Pferde“, die also in ihrem Vorleben nicht immer die beste Behandlung bekommen haben. Zahlreiche Umsteller berichten, dass ihre Pferde bereits nach kürzester Zeit deutlich kooperativer reagieren und erheblich williger mitmachen. Der ausbleibende Druck scheint zumindest so viel Irritation zu verursachen, dass der Gegendruck ausbleibt.

Insbesondere das Reiten ohne Gebiss mit langen Zügeln verschafft so manchem Pferd einen Aha-Effekt: die fehlende Einengung macht plötzlich jegliche Lust auf Abwehr und Flucht zunichte. Trotzdem muss das Reiten mit der neuen Zäumung geübt werden. Gut konditionierte Stimmkommandos unterstützen natürlich, und dass das Halten vor der Beschleunigung auf dem Platz trainiert werden muss, sollte eigentlich selbstverständlich sein.


Selbstversuch

Sechsjährig, ohne jegliche Ausbildung, aber in der irischen Heimat offensichtlich schon mächtig "benutzt", kam meine Tinkerstute zu mir. Ihr erstes Arbeitskopfstück war eine selbst gebaute Konstruktion meiner damaligen Reitlehrerin. Ein aus Baumwolle geknüpftes Halfter-Sidepull mit Ringen. Ganz nett, aber zu der Zeit brauchte ich noch etwas mehr Einwirkung, die das ultraleichte Teil nicht bieten konnte.

Als nächstes kam ein Sidepull mit Nasenriemen aus Leder. Zwischendurch probierte ich ein Bitless Bridle (www.bitlessbridle.de), das man für acht Euro 14 Tage lang testen kann. Per Post kam ein Kopfstück aus Kunststoff, bei dem die Ganaschenriemen sich unterhalb der Kehle kreuzen, um dann von Zügeln mit “Playmobil-Karabinern” in Ringen an überlangen Riemen eingeklipst zu werden.

Der Ansatz dieser Zäumung an sich ist lobenswert, aber die überkreuzten Ganaschenriemen irritierten sowohl mich als auch mein Pferd. Ihr klemmten sie die langen Haare ein und lösten zickigsten Widerstand aus. Andere Pferd-Reiter-Paare haben sich jedoch von dieser Zäumung begeistert gezeigt und berichten von “guter Einwirkung”.

Aus lauter Experimentierlust machte ich mich auf die Suche nach der optimalsten Gebisslos-Lösung. Schön war eine Variante, bei der der Zug über ein Leder-Band kommt, das sich von unten verengt und so recht sanft auf die Nase wirkt. Es ist allerdings nicht leicht, wenn Pony´s Kopf hinten riesengroß ist und vorne immer schmaler wird.

Ein Knotenhalfter-Bridle, also ein klassisches Knotenhalfter mit Extra-Schnüren, die über Genick und Nase liefen, kam genau rechtzeitig zum Ausritt mit Freunden. Schön gearbeitet, aber schon bald zeigten sich beim Reiten Szenen wie beim Bitless Bridle: einer der seitlichen “Rückholfäden” war immer mindestens fünf Mal so lang wie der andere. Meine Mitreiter machten mich ständig darauf aufmerksam, dass das Nasenteil nun in Augenhöhe oder sonst wo hängen würde.

Erst am Abend wurde mir klar, was ich da eigentlich gemacht hatte: im Prinzip hatte ich mein Pferd lediglich mit einer um den Kopf getüdelten Schnur geritten. Aus dem Sidepull und der Idee vom Bitless Bridle entstand schließlich eine Konstruktion der Marke Eigenbau, ein Side-Down-Pull. Weil Ganaschenriemen sowieso keinerlei Halt für herkömmliche Kopfstücke bieten und keine handelsübliche Zäumung so richtig auf die Zwischengröße meiner Stute passte, war klar, dass es nicht ohne Eigeninitiative gehen würde.

Das Ganaschen-Lederteil meines Sidepulls wurde also kurzerhand in den mittleren Ring und somit vor die Ganaschen umgearbeitet. Durch freie Ösen wurde ein weiches Seil einmal hinter den Ohren entlang gezogen, an dessen Enden die Zügel in Ringe geschnallt wurden. Wie beim Bitless Bridle, aber in deutlich kürzer und nicht gekreuzt. Außerdem lassen sich so die Zügel auch klassisch seitlich einklinken. Das Ergebnis ist eine schöne Verbindung ohne lästiges Kopfschlagen meines Pferdes, dessen einzige Lernleistung in ihrer Vergangenheit die war, wie man sich am besten dem Menschen entzieht.

Die neue Reithelferin empfahl, ein Gebiss einzuschnallen. Ich wollte nicht dogmatisch sein, maß die Größe aus und bestellte ein paar Gebisse. Jedes einzelne davon spuckte meine Stute über den Reitplatz, und auch ich fand an jedem etwas auszusetzen. Wir wollten es nicht. Dabei kann ich nicht einmal einen einzigen, überzeugenden Grund nennen. Klar hat das etwas mit Tierliebe zu tun, aber auch mit dem Ehrgeiz, den Kern der Pferdeausbildung und des Reitens wirklich zu erfassen und nicht auf bestimmte Hilfsmittel angewiesen zu sein.

Zudem hatte ich ein Pferdchen erwischt, das zwar geritten, aber niemals ausgebildet worden war. Und wer sich mit solch einer Kraft entzieht, braucht nicht auch noch Druck im Maul, dachte ich mir. Außerdem fand ich meine Hände noch lange nicht weich genug, um einem verdorbenen Pferd die Feinheiten beizubringen.

Im Reitkurs von Heinz Welz stand unter dem Punkt Ausrüstung: passender Sattel, Knotenhalfter und Strick. Während eine Teilnehmerin aus dem Dressur-Lager sicherheitshalber doch ihre Trense mit in die Halle brachte, schafften es einige Teilnehmer an diesem Wochenende zum vollendeten Galoppwechsel und Seitengängen mit Knotenhalfter und einem einzigen Strick!

Die erste Übung war jedoch der Notfall-Stop per Genick-Biegung! Nachgegeben wird hierbei mit dem Strick in dem Moment, in dem das Pferd Nachgiebigkeit signalisiert. Eine wahre Lebensversicherung und zugleich Ausbildungshilfe, die im optimalen Fall immer dezenter ausfällt.

Mein Pferd zeigte mir im Übrigen mit jedem Kopfstück neue Seiten von sich und offenbarte mir die nächsten Schritte unserer Ausbildung. Es funktioniert eben nicht, den Pferdekopf per Maulhebel an die Brust zu ziehen und sich damit vorzugaukeln, man reite am Zügel. Die Hinterhand muss mit, und das Gespür dafür wird mit gebissloser Zäumung plötzlich ganz deutlich.

Das Problem mit dem Kopfschlagen hat sich erheblich gebessert, der Widerstand ist weg! Unsere Kommunikation findet nicht über das Maul statt. Dafür beobachte ich ihre Ohren und versuche, ihre Stimmung zu fühlen. Die Sinne sind schärfer geworden. Das größte Phänomen ist jedoch, dass man irgendwann, wenn man tatsächlich vergisst, dass man ohne Gebiss reitet, sich keine Gedanken mehr darum macht, sondern es einfach tut.

Eine Frage der Versicherung

“Das Reiten mit gebisslosen Zäumungen ist offensichtlich in Reiterkreisen umstritten”, schreibt die Uelzener Versicherung auf Nachfrage zum Thema. Unter niedersächsischen Reitern ist die Uelzener Versicherung bekannt dafür, dass sie “ihren Versicherungsnehmern keinerlei Zäumungsvorschriften macht.” Gefragt sei vielmehr die “Eigenverantwortung des jeweiligen Reiters”, teilt das Unternehmen mit. Weiter heißt es: “Entscheidend für die Versicherungsnehmer ist jedoch allein, ob Versicherungsschutz aus dem bestehenden Vertrag besteht. Da dieser Versicherungsschutz von der Uelzener Versicherung uneingeschränkt auch bei alternativen oder gebisslosen Zäumungen gewährt wird, muss ein Versicherungsnehmer eine persönliche Inanspruchnahme nach einem Unfall mit einer solchen Zäumung keinesfalls befürchten. Die Verwendung dieser Zäumungen gefährdet den Versicherungsschutz nicht.”

Das klingt gut und beruhigt alle, die ihr Pferd ohne Gebiss ausreiten oder auch nur ein Handpferd am Halfter mitnehmen. Doch trotz gewährtem Versicherungsschutz sind im Falle eines Falles nicht alle Risiken abgedeckt Angenommen, es passiert ein Unfall, der vor Gericht landet. Die Überprüfung der Schuldfrage entscheidet womöglich überhaupt erst, ob die Versicherung einspringen muss oder nicht.

Im Zweifelsfalle wird vom Gericht ein Gutachter eingeschaltet, der die Situation fachlich beurteilen soll. Und spätestens hier haben die Gebisslos-Fans schlechte Karten. Denn solche Gutachter kommen in der Regel von einer Landwirtschaftskammer oder der FN. Die Vermutung liegt nahe, dass diese Sidepull, Halfter & Co als Zäumung im Gelände für grob fahrlässig halten werden. Zumindest tauchen sie in den FN-Richtlinien nicht auf. Dann ist es möglicherweise egal, ob das betreffende Pferd vielleicht beim Vorbesitzer mit scharfer Kandare immer durchgegangen ist und sich in Wirklichkeit die gegnerische Partei schwer daneben benommen hat. Recht haben und Recht bekommen sind bekanntermaßen zwei verschiedene Dinge. Die Entscheidung liegt bei jedem selbst, aber zumindest über die Konsequenzen sollte man sich Gedanken machen.

Interview mit Heinz Welz

“Vom Boden in den Sattel” heißt der Kurs in Pferde-Kommunikation, bei dem es darum geht, das Pferd und seine Signale zu verstehen - und eben dies auch auf das Reiten zu übertragen. Die Textfarm (TF) befragte den Mensch-Pferde-Trainer zu dem Thema und bekam überraschend ehrliche Antworten.

TF: Heinz, wie kommst Du auf die Idee, nur mit Knotenhalfter und einem Zügel zu reiten?

HW: Ich bin ja auch von früher gewohnt, mit zwei Zügeln und Gebiss zu reiten, aber irgendwann habe ich mir gedacht, das kann es nicht sein. Es muss noch eine Alternative zum Gebiss geben. Da hat mich der Dr. Cook drauf gebracht - www.cook.com heißt übrigens seine Internetseite. Cook hat lange Jahre geforscht und hat ein Fazit gezogen: Gebiss benutzen ist Tierquälerei. Da ich mich als Pferdefreund verstehe und nach langer Zeit des nutzenorientierten Reitens, des Turnierreitens und so weiter, etwas verändert habe, bin ich zu dem Ergebnis gekommen: ich kann es mir leisten, diesen Experimentierschritt zu gehen und tierfreundlich - so weit das möglich ist - mit Pferden umgehen, so dass die gebisslose Reiterei heute für mich im Zentrum meines Umgangs mit Pferden steht.

TF: Reitest Du selbst inzwischen ausschließlich ohne Gebiss?

HW: Ich reite zu 90 Prozent gebißlos, und zu zehn Prozent mit Gebiss. Mit gutem Grund: Ich möchte, dass Pferde überall nachgeben, auch im Maul. Und das ist in erster Linie eine Frage der Erziehung und nicht der Ausbildung, was hierzulande gerne verwechselt wird. Und ich sage das jetzt mal rein theoretisch: Wenn mir was passieren sollte und meine Pferde verkauft werden, könnte es sein, dass sie in Hände von Leuten kommen, die nur Reiten mit Gebiss kennen, und dann möchte ich, dass meine Pferde gelernt haben, auch mit Gebiss zu gehen, ohne Widerstand zu leisten und sich damit ein gutes und sicheres Leben sichern, weil meine Pferde dann gelernt haben, so zu gehen, als hätte man nichts in der Hand. Das ist einerseits ein Ehrgeiz, aber da kommt auch das Experimentieren hinzu.

TF: Aber Du gehst nicht mit dem Slogan “gebißlos Reiten” hausieren...

HW: In den Seminaren vertrete ich das offensiv. Wenn ich mein nächstes Buch über das Reiten schreibe, wird die Gebisslosigkeit einen großen Teil davon ausmachen. Auf der anderen Seite muss ich aber auch sagen, dass ich, auch wenn ich 56 Jahre alt bin, immer noch jeden Tag neu dazu zu lerne. Ich habe das Gefühl, dass ich beim Thema Gebisslosigkeit und überhaupt beim Reiten immer noch ein paar Lernschritte machen muss und machen werde. Ich nehme mir einfach die Zeit dafür.

TF: Du hast im Kurs erzählt, Dein Ideal liege darin, nur mit Knotenhalfter die Hohe Schule zu reiten.

HW: Oh, das Ziel ist, wenn man es ganz genau nähme, diese ganz ohne Zäumung zu reiten! Und ehe jemand Hohe Schule trainiert, sollte er sein Pferd in allen drei Gangarten erst mal gebißlos im Gelände reiten können.

TF: Auch ohne Sattel?

HW: Ohne Sattel reiten zu lernen, macht den Reiter sehr viel sicherer, aber für das Pferd ist es schmerzhafter. Doch viel entscheidender sind meines Erachtens das Kopfstück und das Gebiss. Auf der Equitana hat mich sehr beeindruckt, wie eine zierliche Frau die Hohe Schule erst mit Kandare und dann ohne Sattel und Zäumung, nur mit einem Seidenschal ritt! Was mich übrigens ebenso beeindruckt hat, ist die Tatsache, dass diese Frau dann weniger Applaus bekommen hat als andere Reiter mit Gebiss. Das war wohl für die Leute so was von überraschend, das passte nicht in ihr Weltbild.

Mich interessiert vor allem der Weg, wie jemand so etwas erreicht, nicht nur das Ergebnis. Wir können mit Gewalt und Brutalität alle Ergebnisse erzielen, aber das heißt nicht, dass man wirklich erfolgreich ist. Wenn aber jemand tut, was ich möchte, weil er mir vertraut, dann ist das ein gutes Ergebnis und ein Riesenerfolg.

TF: Welche gebisslosen Zäumungen hast Du denn schon ausprobiert?

HW: Ich bin ja seit 25 Jahren Westernreiter und habe schon früher mit Hackamore geritten. Das ist ja nun eine alte Western- Zäumung, die meines Erachtens aber nur noch eher traditionelle als funktionale Bedeutung besitzt. Später bin ich zum Sidepull gekommen, das begünstigt – im Gegensatz zur Hackamore – die direkte Zügelführung. Das Sidepull mit seinen Ringen links und rechts oberhalb der Maulspalten verhilft zur klareren Zügelführung. Allerdings sind die handelsüblichen Sidepulls auf der Pferdenase viel zu hart vom Material her, weshalb sie von Anwendern meist mit Mull oder Fell umwickelt werden. Ausprobiert habe ich auch das Bitless bridle von Dr. Cook. Die Idee, mit dem Zügel gleichermaßen Wirkung auf Nase und Genick des Pferdes zu erzielen, ist klug. Aber technisch funktioniert es nicht gut. Immer klemmt irgendetwas. Auch unser eigener Versuch, das Prinzip weiterzuentwickeln, schlug fehl. Deshalb haben wir die Sidepull-Idee aufs Knotenhalfter übertragen und statten die von uns hergestellten Halfter ebenfalls mit Ringen aus. Das stellt für mich jetzt das Nonplusultra dar, weil Knotenhalfter sehr viel leichter und weicher sind als Sidepulls. Das Pferd hat viel weniger am Kopf. Außerdem kosten sie weniger.

TF: Hat Dich jemand auf Deinen Weg gebracht?

HW: Beeinflusst haben mich viele – im Guten wie im Schlechten. Die Schlechten mindestens so stark wie die Guten. Im Guten haben mich vor allem die Dorrance-Brüder beeinflusst. Deren wohl bekanntesten Schüler, Pat Parelli und Monty Roberts, gaben mir den Anschub, mich beruflich Menschen und Pferden zu widmen.

TF: Gibt es Grenzen der Einwirkung mit gebissloser Zäumung?

HW: Alles das, was ein williges Pferd unter dem Sattel, im Dressurviereck oder im Gelände machen muss - alles das, was man hierzulande Gymnastizieren nennt, und was ich viel wichtiger finde: die Erziehung des Pferdes, ist mit Seilhalfter möglich. Und auch jegliche Ausbildung. Keine Frage: Ein paar Lektionen mögen – je nach Vorbildung von Pferd und Reiter - mit Gebiss leichter zu trainieren sein. Das liegt aber nicht am Gebiss im Maul des Pferdes, sondern an der Tatsache, dass die Einwirkung von der Hand des Reiters auf den Kopf des Pferdes durch die Hebelwirkung erleichtert wird. Etwa bei den Seitengängen. Ich bekomme jeden Seitengang auch mit Seilhalfter hin. Aber es gibt Situationen, in denen das Gebiss effizienter ist. Aber wenn ich diesen Schritt erreicht habe, gehe ich wieder zurück zum Knotenhalfter und merke: Hey, ich kriege es auch hier wieder, ohne Gebiss!

TF: Was rätst Du anderen?

HW: Ich würde jedem raten, zu experimentieren. Ich verdamme die Gebisse nicht, sondern bin der Auffassung, die meisten Menschen, die mit Gebissen umgehen, gehen nicht richtig mit ihnen um. Ich glaube vor allem, dass viele Reiter nicht deshalb Gebisse benutzen, um feiner einzuwirken, sondern weil sie Angst vor der Unberechenbarkeit des Pferdes haben.

Ich stelle in Diskussionen gerne folgenden Grundsatz auf: Pferde werden erst dann mit Gebiss geritten, und erst recht: ans Gebiss heran geritten, wenn sie sich unter dem Reiter in allen drei Gangarten sicher und flüssig bewegen - und zwar ohne Gebiss im Maul - auf dem Platz wie im Gelände! Erst wenn das gewährleistet ist, kann der Reiter mit seinen Händen die Zügel so fein handhaben, dass sie tatsächlich der Verfeinerung dienen.

Wenn man allerdings gebißlos reitet, muss man die Technik kennen. Ich halte es nicht für sinnvoll, allein aus Pferdefreundlichkeit oder falsch verstandenen Tierschutz-Gedanken dem Pferd das Gebiss aus dem Maul zu nehmen, dem Pferd das Seilhalfter an den Kopf zu binden und zu sagen: Jetzt gehe ich mit meinem Pferd fröhlich ins Gelände. Das ist ein großer Risikofaktor. Obwohl auch das funktionieren kann. Ich habe das sehr oft in Seminaren erlebt, dass Pferde mit Seilhalfter sehr viel besser gehen als mit Gebiss und sogar Verhaltensauffälligkeiten mit einem Male weg waren. Aber ich will das nicht zu einer Regel machen. Ich kann nur jedem raten, umzustellen. Aber ich rate auch jedem, der sich dafür entscheidet, die Grundbegrifflichkeiten des Genickbiegens und des Hinterhandweichens zu verinnerlichen. Und dann behaupte ich, ist jedes Pferd im Gelände mit Seilhalfter nicht nur genau so sicher wie mit Gebiss, sondern sicherer.

     

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