Wenn
sich Ihr Pferd nicht einfangen lässt…
…dann
traut es Ihnen nicht
von
Heinz Welz
Dass Pferde
sich nicht gerne von der Wiese holen lassen, ist ein am weit verbreitetes
Problem. Manche Pferde lassen sich aber auch nicht gerne aus der Box
oder vom Paddock holen. Grundsätzlich liegt dem Verhalten dieser
Pferde ein sichtbares Beziehungsproblem zwischen ihnen und dem Menschen
zugrunde. Die Frage ist: Mag Sie Ihr Pferd, und: Mögen Sie Ihr
Pferd? Sagen Sie nicht sofort: „Aber selbstverständlich mag
ich mein Pferd!“ Mögen Sie es wirklich? Wir Menschen sind
große Könner im Verwechseln von Wunsch und Wirklichkeit.
Zumal dann, wenn wir starke Eigeninteressen verfolgen. Dann verbiegen
wir die Wirklichkeit auch schon mal gern. Fakt ist: Wenn sich Ihr Pferd
von Ihnen abwendet oder gar davon rennt, wenn es die Freiheit dazu hat,
dann ist das ein unübersehbares Zeichen dafür, dass seine
Sympathie zu Ihnen begrenzt ist – ob Ihnen dass nun gefällt
oder nicht.
Also: Mögen
Sie Ihr Pferd? Sind Sie es, der das Pferd füttert, oder überlassen
Sie das einem anderen? Und wenn Sie es reiten, vor die Kutsche spannen
oder sonst wie nutzen: Sind Sie sicher, dass Sie Ihr Pferd dabei angemessen
fordern, dass Sie es nicht – um Ihren Spaß zu haben, aus
Unwissenheit oder Ehrgeiz - überfordern, oder ihm gar Schmerzen
zufügen? Wissen Sie genau, wie man Pferde motiviert? Loben Sie
ausreichend, zum richtigen Zeitpunkt und in der richtigen Weise? Pflegen
Sie die Beziehung zu Ihrem Pferd - auch wenn es nicht um den reinen
Nutzen geht, also: Streicheln Sie Ihr Pferd beispielsweise re-gelmäßig,
ohne irgendetwas von ihm zu wollen?
Pferde
wollen wissen, woran sie sind
Ob Ihr
Pferd Sie mag, ist die nächste – noch pikantere Frage. Die
Antwort hängt wesentlich von der ersten Antwort ab: ob Sie Ihr
Pferd mögen. Jetzt kommt aber noch etwas hinzu: Die Zuneigung
von Pferden ist eng verknüpft mit dem Respekt, den sie vor anderen
haben. Statt Respekt kann man auch Anerkennung sagen. Den Respekt von
Pferden verdienen wir uns dadurch zusätzlich, dass wir Klarheit
und Führungskraft ausstrahlen. Pferde möchten wissen, wo sie
bei uns ‚dran sind’, ob Sie uns nicht nur vertrauen können
in Sachen Zuneigung, Futter und Pflege, sondern auch hinsichtlich Führung.
Die große
Frage dabei lautet immer: Kann ich mein Pferd führen? Das heißt
konkret: Kann ich jeden Körperteil meines Pferdes dahin schicken,
wohin ich möchte? Und: Kann mir mein Pferd folgen – und
zwar in dreierlei Weise:
1. geistig - das heißt: versteht es mich, wenn ich etwas will? Bin ich klar
in meinen Anweisungen?,
2. emotional - sagt es ‚ja’ zu mir, weil es mir in allen
Belangen – in der Versorgung wie in der Sicherheit - vertraut?
und
3. körperlich - bewege ich mich selbst zu Fuß und im Sattel
so sicher, dass es sich bei mir sicher fühlt und mir freiwillig
überall hin folgt?
Wo eine
oder mehrere dieser Komponenten fehlt, da macht es aus Sicht des Pferdes
Sinn, besser nicht folgsam zu sein. Zu erklären, was im Detail
hinter Führung und Folgsamkeit steckt, und wie sie erreicht wird,
welch eminente Bedeutung ‚Beziehung’ hat, füllt mehr
als einen einzelnen Artikel und wurde in der FS von mir bereits ausführlich
dargelegt (siehe Kasten). Hier soll es jetzt darum gehen, welche Techniken
Sie anwenden können, um Probleme punktuell zu lösen.
Einem Freund,
der mich um Rat bat, weil eines seiner vier Pferde sich auf der Weide
nicht fangen ließ, gab ich folgende Tipps. (Welcher bei meinem
Freund Erfolg hatte, das erfahren Sie am Schluss):
Strategie 1: Futtereimer
Gehe
eine Zeitlang zur Weide, nimm’ Futter in einer Schüssel mit,
bleib’ am Tor und raschele mit den Leckerbissen. Kommt die Stute
hinzu, lasse ihr den Vortritt, füttere und streichele sie. Ignoriert
sie den Lockversuch, wechsele über zu Strategie 2.
Strategie
2: Ignorieren
Gehe
eine Zeitlang auf die Weide und ignoriere das Pferd. Verschwende keinerlei
Ge-danken an die Stute. Geh’ gezielt zu den anderen Pferden, streichele
sie, bewege Dich ein bisschen um sie herum. Vielleicht nimmst Du Futter
mit und reichst es den Dreien. Gesellt die Stute sich hinzu, so nimm
es lediglich zur Kenntnis, fasse sie aber nicht an. Bleibt sie weg –
kein Problem. Schau auf keinen Fall zu irgendeinem Zeitpunkt zur Stute
hin. Ignoriere sie einfach. Und dann gehst Du wieder.
Nach dem
dritten Mal auf der Weide, fang an, auf mögliche Veränderungen
zu schau-en: Verändert die Stute ihre Aufmerksamkeit oder gar
ihren Standort? Schaut sie mehr oder weniger? Nähert sie sich an
oder entfernt sie sich? Werde aber nicht aktiv. Was sie auch tut: Lass’
sie. Wenn sich die anderen Pferde Dir vertrauensvoll annähern,
kannst Du dem einen oder anderen ein Halfter anlegen. Streichele dieses
Pferd dann ein bisschen, füttere es, nimm’ das Halfter wieder
ab und geh.
Strategie
3: Streicheln auf Entfernung
Wenn
die Stute bei diesem Verfahren mehr als drei Mal weg bleibt, dann beginne,
sie auf Entfernung zu ‚streicheln’. Dazu brauchst Du Dich
ihr nur zuzuwenden - egal wie weit sie von Dir weg ist. Fahre mit einer
Hand sanft durch die Luft und tu so, als streicheltest Du sie tatsächlich.
Steh’ dabei gelassen, schaue ihr nicht in die Augen. Lächele,
singe oder pfeife eine Melodie. Stehe dabei nicht frontal zu ihr gewandt,
sondern zeige ihr Deine Schulter. Das strahlt weniger Energie aus als
Deine gesamte Körperfront, und Du schaust ihr nicht in die Augen.
Wenn Du
siehst, dass sie stehen bleibt, dann nähere Dich langsam (nicht
schlei-chend, sondern gemächlich) an, während Du sie ‚streichelst’.
Läuft sie davon, wäh-rend Du näher kommst, dann gehe
einfach mit. Sie wird bei Deinen saften Bewegun-gen sowieso nicht losstürmen,
sondern lediglich ihren Ausweichabstand wahren wol-len. Sei geduldig
und streichele, denke freundlich über sie, denn auch sie (wie alle
Pferde, die uns fordern) möchte nur herausfinden, ob sie sich
in Zukunft auf Dich ver-lassen kann: auf Dein Wissen, auf Deine Beherrschtheit
und auf Deine Bewegungen. Möglicherweise wirst Du sie eine Stunde
lang auf Entfernung streicheln ‚müssen’. Das ist keine
verlorene Zeit, sondern aktive Beziehungsarbeit.
Wenn sie
Dich dann an sich heran lässt, atme ruhig, biete ihr Deinen Handrücken
zum Beriechen und vielleicht einen Leckerbissen. Streichele sie nun
richtig und lass sie dann in Ruhe. Mach das an drei aufeinander folgenden
Tagen. Erst am vierten Tag legst Du ihr ein Halfter an. Komme drei weitere
Tage, leg ihr nur das Halfter an, streichele sie, füttere sie und
geh’ wieder weg. Wenn das gut funktioniert, dann führe sie
ein paar Mal mit Halfter und Seil bis zum Tor, streichele sie dort und
entlasse sie wieder zu ihren Artgenossen.
Am
Halfter, und dann...
Die nächste
Stufe: Du führst das Pferd ein paar Mal in den Stall (oder dorthin,
wo Du normalerweise sattelst, wo der Hufschmied arbeitet oder der Tierarzt).
Füttere Dein Pferd dort mit ein paar Leckerbissen, streichele
es ein paar Minuten sanft und freund-lich und führe es wieder zurück
auf die Weide.
Strategie
4: Die anderen holen
Den
letzten Tipp gebe ich nur der Vollständigkeit halber. Hole die
drei anderen Pferde mit einem Helfer von der Weide. Lass’ sie
wegführen und beobachte vom Tor aus das Verhalten der Stute. Stehe
am Tor bereit, wenn das Pferd ebenfalls hinaus möchte. Möglicherweise
identifiziert Dich die Stute auf diesem Weg als ‚Befreier’.
Das ist aller-dings die unwahrscheinlichste Reaktion. Diese einfach
gestrickte Vorgehensweise, die den Herdeninstinkt der Pferde ausnutzt,
birgt jedoch das Risiko, dass ein ungestümes oder irritiertes
Pferd gar nicht erst zum Tor rennt, sondern auf direktem Weg ver-sucht,
zu seinen Artgenossen zu kommen und über den Zaun springt. Möglicherweise
läuft es aber auch nur wiehernd am Zaun auf und ab, ohne Dich zur
Kenntnis zu neh-men. Und ein selbstbewusstes Pferd lässt sich –
umgekehrt – vom Abzug seiner Art-genossen möglicherweise
überhaupt nicht beeindrucken und grast in Seelenruhe wei-ter.
Die ersten
drei Strategien lassen sich gut miteinander kombinieren. Die vierte
ist eine Hauruck-Methode, aber manchmal funktioniert sie auch. Mein
Freund strahlte mich jedenfalls eine Woche später an. Ihm hatte
die simpelste Strategie geholfen: Er war erstmals ohne jegliches Wollen
in Bezug auf die Stute auf die Weide gegangen (Stra-tegie 2). So hatte
er gelernt, dass es vor allem seine (fordernde) Energie gewesen war,
die seine Stute jedes Mal zum Davonlaufen animiert hatte, wenn er die
Weide betrat.
Ich selbst
hatte bislang immer Erfolg mit dem ‚Streicheln auf Entfernung’,
selbst bei Pferden, die monatelang auf der Weide verwildert waren, keine
Menschenhand an sich heran ließen; bei den Dülmener Wildpferden
ebenso wie bei einem Hannoveraner oder einem irischen Pony, das zuvor
noch nie von Menschen berührt worden war. ‚Streicheln auf
Entfernung’ ist nichts anderes als „indirektes“ Gefühl,
wie wir es auch im Joining im Round Pen zum Beziehungsaufbau anwenden. ‚Streicheln
auf Entfernung’ ist im Grunde vor allem aber nichts anderes als
die Form von Kommunikation, die alle Lebewesen auf der Welt anwenden,
wenn sie sich einander prüfend annähern: zunächst auf
Distanz, mit Augen und Ohren, und dann erst durch Berührung, dem
„direkten“ Gefühl.
Eine
gute Beziehung durch Round-Pen-Arbeit
Alternativ
zu den oben beschriebenen Verfahrensweisen – wenn sich das Thema
noch nicht so krisenhaft zugespitzt hat, dass Sie jedes Mal die Hofbesatzung
mitnehmen müssen, um Ihr Pferd einzufangen - tun Sie gut daran,
‚Joining’ zu üben, jene Verfahrensweise, die geradezu
als Allheilmittel zu verwenden ist – wenn man sie richtig gelernt
hat und sie beherrscht (siehe Kasten). Das Joining in einem Round Pen
ist überdies eine der besten Möglichkeiten, an der Verbesserung
Ihrer Beziehung und am Vertrauen Ihres Pferdes zu arbeiten, sowie sich
und ihr Pferd fühlen zu lernen.
(Fotos:
Till Schläger)
Strategie
5: Joining auf der Wiese
Um ein
Joining auf einer großen Wiese zu absolvieren (Strategie 5),
brauchen Sie allerdings viel Erfahrung und Cleverness. Vor allem müssen
Sie sich gut auskennen im Austausch von indirektem Gefühl in den
richtigen Körperzonen des Pferdes, sonst ist Ihr Liebling schneller
über oder durch den Zaun, als Sie gucken können. Oder aber
Ihnen geht nach zehn Minuten die Puste aus, und Ihr Pferd lacht sich
ins Hüfchen. Zudem brauchen Sie disziplinierte Helfer, die sich
ebenfalls auskennen.
Das
Pferd dreht sich in der Box weg
Wenn ein
Pferd Ihnen in der Box (das ist analog auch auf den Paddock zu beziehen)
sein Hinterteil zuwendet, ist selbstverständlich Vorsicht angebracht.
Denn dieses Pferd teilt Ihnen unmissverständlich mit: „Du
interessierst mich nicht. Lass’ mich in Ruhe!“ Je nach Charakter
und Temperament könnte es seine Abneigung auch mit seinen Hufen
unterstreichen. In diesem Fall sollten Sie unbedingt ein langes Führseil
zur Hand haben. Gerte oder Peitsche empfehle ich (mit einer Ausnahme)
deshalb nicht, weil Pferde, die sich so verhalten, meist schon schlechte
Erfahrungen mit derlei ‚Hilfsmitteln’ gemacht haben, und
deshalb in dieser Situation eher noch aggressiver oder verschreckter
reagieren.
Stellen
Sie sich in die halboffene Tür, ohne die Box zu betreten. Je nach
Eindeutigkeit der Situation bleiben Sie mit einem Bein draußen.
Jetzt richten Sie Ihre Energie konzentriert auf die Hinterhand des
Pferdes:
1. Schauen
Sie dem Pferd zunächst intensiv auf eine Hinterhandseite, so als
wollten Sie es dort beißen.
2. Wenn das zu keiner gewünschten Bewegung des Vierbeiners führt,
lassen Sie das Seilende locker aus Ihrem Handgelenk Richtung Hinterhandseite
schwingen.
3. Wenn auch das noch nicht reicht, schwingen Sie Ihr Seil mit mehr
Bewegung aber immer noch leicht von oben nach unten Richtung Hinterhand.
4. Als stärkste Energie treffen Sie das Pferd leicht (!) seitlich
an der Kruppe.
Erhöhen
Sie Ihre Energie aber nur, wenn nötig, und beginnen Sie immer mit
der geringst möglichen Energie, und das ist Ihr Körper und
Ihr Blick.
Das Pferd hat nur die Möglichkeit,
• zu steigen oder ‚die Wand hochzugehen’,
• nach hinten auszukeilen oder gegen Sie zu drängen (was
nur in den allerseltensten Fällen vorkommt), oder
• nach links oder rechts auszuweichen. Das ist das, was wir wollen.
Bei den
beiden ersten Punkten sollten Sie sich – wenn Sie unsicher und
unerfahren sind - fachliche Hilfe herbeiholen. Wenn das Pferd nach hinten
auskeilt, steht der Fachmann oder die Fachfrau schon weit genug vom
Pferd weg und könnte sogar nach hinten aus der Box hinaus. Drängt
es rückwärts gegen die Seilenergie, so geht er ebenfalls
raus und wedelt im schlimmsten Fall mit dem Seil durch die Boxenstäbe
oder den Türspalt Richtung Hinterhand. Wenn das Pferd nach hinten
drängelt, kann der Therapeut die Seilenergie durch Schwingen weiter
erhöhen oder eine Gerte, eine Fahr- oder Longierpeitsche benutzen.
Wenn ein
Pferd die Wände hochzugehen droht, aber auch beim ‚Schläger’
wird der Fachmann/die Fachfrau seine Energie eher reduzieren (!). Beim
irischen Pony und einem Tinker-Jährling, die im wahrsten Sinn des
Wortes die Wände hoch gehen wollten, hat mir wieder das ‚Streicheln
auf Entfernung’ geholfen.
...und
wendet sich zu
Sollte
das Pferd seinen Widerstand (oder seine hilflosen Fluchtversuche) aufgeben,
wird es stehen bleiben und sich zum Men-schen umdrehen. Wenn es in dieser
Situation auch nur ein Ohr in Ihre Richtung dreht, reduzieren Sie Ihre
Energie sofort auf Null: Senken Sie Ihren Blick, lächeln Sie und
lassen Sie vor allem das Seil sinken. Ziehen Sie sich möglichst
sogar einen Schritt zurück, raus aus der Box. Das machen Sie immer
wieder, wenn das Pferd Ihnen ein körpersprachliches Signal gibt,
dass es sich Ihnen zuwendet. Das kann das eine Ohr sein, ein kurzer
Blick, oder ein Vorderhuf, der sich einen Zentimeter in Ihre Richtung
bewegt.
Wendet
sich das Pferd wieder ab, beginnen Sie Ihre Energiezufuhr wieder von
vorn und wieder im geringst möglichen Maß. Hat sich das Pferd
Ihnen vollends zugewendet, dann streicheln sie es ausgiebig (wenn es
das mag), reichen einen Leckerbissen, oder sie lassen es in Ruhe. Üben
Sie dies so oft Sie können, und machen Sie es dem Pferd angenehm,
sich Ihnen zuzuwenden.