Der wahre Horseman
Von Dr. Werner
 Stürenburg


Das Buch dieser Woche heißt  Entdecke den Horseman in dir. Gleich im ersten Kapitel
"Vom Pferdeliebhaber zum Horseman" setzt sich der Autor Heinz Welz mit dem Begriff "Horsemanship" auseinander.

Zunächst fällt auf, daß wir einen englischen Begriff benutzen. Nun gilt so etwas oft als schick, besonders die Werbung kann nicht genug unverständlichen, teils unsinnigen Kauderwelsch produzieren. Von diesen Trends ist die Pferdeszene selbstverständlich nicht ausgenommen.

Heinz Welz stellt aber fest, daß es in der deutschen Sprache tatsächlich keinen angemessenen Begriff gibt. Aber auch im Englischen weiß keiner so recht, was der Begriff Horsemanship genau aussagen soll. Dasselbe ließe sich über den Begriff
"Pferdeflüsterer" sagen.

Heinz Welz versteht darunter einen Menschen, der helfen möchte, kaputte Beziehungen zwischen Mensch und Pferd zu heilen und im Umgang mit Pferden versucht, so leise und fein wie möglich zu arbeiten.

Den Welz bekennt sich dazu, Pferdeflüsterer zu sein, der Horsemanship praktiziert. Welche Art Horsemanship? Welz zählt die Varianten

 

  • Ganzheitlich
  • Natural
  • Himmlisch
  • True
  • Good
  • Intelligent
  • Ranch
  • New Age


auf - was immer sich dahinter verbergen möge. Seite 9:

Allerdings glaube ich, daß es wahrscheinlich nie einen wahren Horseman geben wird. Warum? Horsemanship ist so umfassend, daß ein ganzes Menschenleben dafür nicht ausreicht, es zu lernen. [...] Und er könnte tatsächlich wie Pferde denken und fühlen. Das wäre dann, wie der amerikanische Cowboy Jack Young sagt, der "Master Horseman", und Young meint damit niemand anderes als den lieben Gott. [...]

Bleiben wir also besser auf der Erde und denken einmal kurz darüber nach, was und wie ein Horseman denn sein könnte und müßte, auch wenn er nicht so perfekt ist wie der liebe Gott. Machen wir es uns leicht und behaupten einfach, daß mit Horsemanship - egal ob 'true', 'natural', ' himmlisch' oder ' ganzheitlich' - alle Eigenschaften und Handlungen eines Menschen gemeint sind, die die Beziehung von Mensch und Pferd zueinander bestimmen, und zwar zu beider Vorteil. [...]

Horsemanship ist somit also weniger eine Zustandsbeschreibung als eine Entwicklungsform. Horseman wird man, immer wieder, laufend, dauernd und ohne Ende....!


Das gefällt mir alles sehr gut. Es beschreibt nämlich aus einer gewissen Perspektive das Leben, wie es ist bzw. wie es sein sollte. Diese müßte man mit Fug und Recht eine religiöse Haltung nennen. Auch Hempfling nimmt diese Haltung ein und redet zuweilen vom lieben Gott.

Sobald Gott im Spiel ist, ist die Welt keine sinnlose Maschine mehr, das Leben nicht einfach nur Zufall, der Mensch nicht Herr seiner selbst und aller Dinge, insbesondere der Pferde. Er ist anscheinend hier auf der Welt, um in seiner Lebensspanne etwas zu lernen und sich zu entwickeln. Das ist eine völlig andere Zielrichtung.

Die allgemein verbreitete Einstellung, das Leben sei dazu da, den größtmöglichen Genuß mitzunehmen, führt offenkundig nicht zur Zufriedenheit und zum Glück, sondern vielmehr zu Unglück, Getriebenheit, Unzufriedenheit, Gier, Leid, Abhängigkeit. Man braucht sich die Gesichter der Menschen nur anzuschauen, wenn man ihnen dort begegnet, wo sie niemandem etwas vormachen wollen. Es ist einfach erschreckend, was diese Gesichter ausdrücken. So gut wie nie sieht man jemanden, der zufrieden und glücklich ist, obwohl doch alle angeblich danach streben.

Das Leben als große Schule, als Abfolge von Lektionen, die so lange wiederholt werden, bis sie verstanden sind, woraufhin neue Lektionen anstehen: So gesehen sind die Schlußsätze aus dem Buch von Welz, die ich in der Rezension zitiert habe, dasselbe in grün. Solange wir leben, lernen wir. Wenn wir hier nichts mehr zu lernen haben, können wir sterben.

Wer lernen will, tut gut daran, sich nach Lehrern umzuschauen. Zwar lehrt einen das Leben schon genug, ein Lehrer kann den Lernprozeß aber sehr beschleunigen. Welz erzählt in diesem Zusammenhang eine sehr vergnügliche Geschichte (Seite 10):

 

Ein junger Mann arbeitete einst einige Pferde in einem Round Pen. Da kam ein alter Mann vorbei und sah ihm eine Weile zu. Schließlich fragte der alte Mann: " He, Junge, möchtest du das Geheimnis von Horsemanship erfahren?""Gern", antwortete der Junge. "Eine Bedingung mußte allerdings erfüllen", sagte der alte Mann und machte eine Faust: "Wenn du es schaffst, meine Faust zu öffnen, dann wirst du das Geheimnis von Horsemanship kennenlernen." [...] Der Junge versuchte alles, aber er fand keinen Weg, auch nur einen Finger in die Faust des Alten hineinzudrücken, um sie zu öffnen. Die Faust blieb geschlossen. Schließlich gab er auf: "Ich schaffe es nicht", sagte er enttäuscht, "ich krieg' sie nicht auf. Was muß ich tun, um sie zu öffnen, damit ich das Geheimnis erfahre?""Genau das hättest du tun müssen", sagte der alte Mann und öffnete seine Faust, "fragen".

Welz empfiehlt, die Pferde zu fragen:

Denn ein Pferd weiß eine Menge über Horsemanship und es erzählt Ihnen dauernd davon! Die meisten Menschen hören ihm aber nicht zu.


Einer der besten Lehrer zum Thema Horsemanship ist also immer dabei, wenn Sie mit Ihrem Pferd zusammen sind. Möglicherweise sind Sie mit Ihrem Pferd zusammen, damit Sie etwas lernen, und nicht umgekehrt? Vielleicht versucht der wahre Horseman, Ihnen etwas beizubringen, mit unendlicher Geduld, ohne Ihnen jemals etwas übel zu nehmen?

Mein Tip für diese Woche: Probieren Sie einfach einmal gedanklich diese Perspektivverschiebung aus! Es ist eine reine Vorstellungsübung, niemand außer Ihnen bekommt davon etwas mit. Der wahre Horseman versucht, Ihnen etwas beizubringen, unter anderem, wenn Sie mit Ihrem Pferd zusammen sind, damit Sie sich weiterentwickeln.

Habe ich in dieser Reihe nicht schon öfters danach gefragt, ob Ihr Pferd Ihnen etwas beibringen kann, damit Ihr Leben glücklicher wird? Es kommt mir so vor, aber ich mag mich täuschen. Macht nichts, ich kann mich nicht oft genug wiederholen.

 

Aus: www.pferdezeitung.com,  Ausgabe 235

 

 
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