In der Freizeit im Sattel (8/2003) schrieb Heinz Welz über die
Bedeutung des Gefühls im Umgang mit Pferden
Wissen und Technik sind wichtig im Umgang mit Pferden. Aber erfolgreich wird man erst dann, wenn Einfühlungsvermögen dazu kommt.

Gefühl ist das Wichtigste in
Umgang und Kommunikation
von Lebewesen miteinander,
also auch zwischen Mensch
und Pferd. „Es gibt nichts“,
sagt Bill Dorrance, der zusammen
mit seinem Bruder Tom
als Vater aller heutigen so genannten
Pferdeflüsterer gilt,
„auf das ein Pferd besser reagiert
als auf ein Gefühl, das
ihm derjenige gibt, der mit
ihm umgeht.“
Menschen, die mit Pferden
umgehen, auf welche Art
auch immer – ob sie führen,
reiten oder fahren – sollten
sich darüber im Klaren sein,
dass sich ein Pferd immer an
den Gefühlen orientiert, die
ihm der Mensch in seiner
Umgebung vermittelt. Und
daher sollte jeder Pferdemensch
sehr gut wissen, wie
er mit seinen und den Gefühlen
des Pferdes umgeht.
„Denn“, sagt Dorrance, „wenn
das Gefühl, das ein Mensch
einem Pferd vermittelt, dem
Menschen in seiner Bedeutung
selbst nicht klar ist, dann
muss auch das Pferd verwirrt
sein.“

Was bedeutet Gefühl?

Gefühl, wie der Begriff hier
gebraucht wird, beinhaltet:

• die sinnliche Wahrnehmung,
also etwas, das man
auf der Haut spüren kann,
und
• Eindrücke, die über die
fünf Sinne das Innere berühren.
Gefühle erklären uns unsere
Befindlichkeit aufgrund von
inneren oder äußeren Erlebnissen
(und die Befindlichkeit
anderer). Gefühle können
und wollen uns also in
jeder Hinsicht aufklären.
Wir müssen sie allerdings
wahrnehmen – bei uns selbst
und bei den anderen, ob
Mensch oder Pferd. Der bewusste
Umgang mit Gefühlen
ist deshalb wichtig, erst recht
bei der Ausbildung von Pferden.Umgang
Daraus folgt: Fühlen kann
man lernen, allerdings nur
dann, wenn man sich öffnet:
seiner Selbstwahrnehmung
und der Wahrnehmung seines
Gegenübers, und wenn
man bereit ist, ausprobieren
und experimentieren zu wollen,
ohne sich gegenseitig zu
überfordern oder gar zu gefährden.
Das ist die Voraussetzung für
Horsemanship, für „Pferdeflüstern“
und für alle anderen
Arten und Weisen mit Pferden
(und jeglichen anderen
Lebewesen) respektvoll, einfühlsam
und am Ende erfolgreich
umzugehen.

Direktes Gefühl: durch die Verbindung zum Pferd

Indirektes Gefühl: ohne Verbindung zum Pferd

Umgang mit Gefühl: direkt
und indirekt

Pferde können auf zwei Arten
von Gefühl reagieren und
zwei Arten von Gefühl vermitteln:
direktes und indirektes
Gefühl.
Das direkte Gefühl kommt
durch Berührung zustande,
entweder durch den Körper
(Hände, Arme, Beine etwa)
oder durch Hilfsmittel wie
Sporen, Gerte, Zügel, Gebisse,
Seile.
Um direktes Gefühl geht es
beim Reiten und bei der
Boden arbeit mit Halfter und
Seil gleichermaßen. Direktes
Gefühl hat eine große Spannweite:
Es reicht von der zarten
Berührung bis zum harten
Schlag.
Indirektes Gefühl hingegen
bedeutet: keinen direkten
körperlichen Kontakt zu haben,
sondern über Blicke, Bewegungen,
Geräusche (Stimme)
und Geruch zu kommunizieren,
also Bewegung auszulösen
– innere und äußere.

Mit derlei Gefühl richtig umzugehen
und diese Gefühle
zu verstehen, bedeutet, in
der Lage zu sein, das gesamte
Spektrum der Kommunikation
von Pferden zu kennen
und anwenden zu können.
Denn Pferde kommunizieren
untereinander ebenfalls sowohl
durch direktes wie
durch indirektes Gefühl,
hauptsächlich aber über das
indirekte Gefühl: Blicke,
Kopfschlagen, Anlegen der
Ohren beispielsweise.
Die anderen beeinflussen
Durch Gefühl ist ein Pferd
somit in der Lage, den Willen
eines anderen Pferdes so
zu beeinflussen, dass es
nicht nur die Bewegung als
solche bestimmt, sondern
darüber hinaus auch ihre
Richtung und die Geschwindigkeit.
Allein durch Gefühl dirigiert
der Herdenchef das Denken
und Handeln seiner Herdenmitglieder.
Das Ziel von Bewegung
durch Gefühl ist es, das
gemeinsame Überleben der
Herde zu sichern.

 

   
Beim Training von Pferden
gelangen wir vom direkten
Gefühl (der Hilfengebung
mittels körperlicher Berührung)
am Ende wieder zum
indirekten Gefühl, um das
Pferd zur Bewegung zu animieren.
Im Idealfall geraten
wir dann tatsächlich in die
Position der Leitstute, die ihre
Herdenmitglieder kraft
Autorität führt, fast ohne jegliche
körperliche Einwirkung.
Genau das ist das Ziel des gesamten
Trainings (vom Joining
bis zum Halftertraining):
das Maß der Energie, mit der
Bewegung gefordert wird, so
weit wie möglich zu reduzieren.
Und am Ende so viel
Vertrauen aufgebaut zu haben,
dass uns das Pferd nicht
nur freiwillig folgt, sondern
sogar gerne.

Am besten ist es, wenn Ihre
Vorstellungen zu den Vorstellungen
Ihres Pferdes
werden. Denn dann hätten
Sie in diesem Augenblick die
totale Kontrolle über Ihr
Pferd (vorausgesetzt, Sie
haben sich selbst unter Kontrolle).
Dabei gilt: Je weniger Kraft
und Druck Sie anwenden,
desto eher helfen Sie dem
Pferd leichter und williger zu
werden.
Weniger Druck: Das Pferd
wird leichter
Ob am Boden oder im Sattel
– Ihr Tun wird sich müheloser
anfühlen und müheloser
aussehen, wenn Sie erst einmal
verstanden haben, wie Sie an ein weiches Gefühl
kommen und wie Sie ein
solch weiches Gefühl anwenden
können.

 

   

Dann wird Ihr Pferd nichts
mehr in Ihren Händen wiegen;
Sie werden nur noch das
Gewicht des Führstricks oder
der Zügel spüren.

Ein Gefühl für den Versuch
entwickeln

Das Wichtigste am Anfang
jeder Übung ist, dass Sie ein
Gefühl für den Versuch des
Pferdes entwickeln, Sie verstehen
und Ihnen antworten
zu wollen. Dieser Versuch
des Pferdes ist die erste Antwort,
die Ihnen Ihr Pferd
gibt: Das mag ein kleines Zucken
oder nur eine leichte
Gewichtsverlagerung sein.
Dass es unter Umständen
noch nicht die komplette,
gewünschte Antwort ist, mag
an vielen Faktoren liegen,
zum Beispiel:
Sie haben falsch gefragt,
und das Pferd hat Sie nicht
richtig verstanden.
Das Pferd ist sich nicht sicher,
welche Antwort Sie erwarten.
Das Pferd wurde in vielen
Situationen der Vergangenheit
für Antworten, die es gab,
bestraft.

Wenn Sie den Versuch des
Pferdes, Ihnen eine richtige
Antwort zu geben, respektieren,
fühlt sich auch das Pferd
respektiert und ermutigt,
beim nächsten Mal eine bessere
Antwort zu geben.

Zu schnell, zu oft: Korrektur
des Pferdes

Reiter neigen viel zu schnell
dazu, ihr Pferd zu „korrigieren“.
Doch Korrektur ist nur
angebracht, wenn es wirklich
etwas falsch gemacht hat.
Aber: Wie oft scheinen Pferde
falsch zu reagieren – und
dabei versuchen sie nur ihr
Bestes. Mehr ist aber nicht
drin, weil sie den Menschen,
der sie zu einer Aktion aufforderte,
einfach nicht richtig
verstanden. Statt uns
selbst zu überprüfen, stellen
wir Menschen lieber die Bereitschaft
des Pferdes in
Frage. Und dann beginnt die
Spirale der Gewalt sich zu
drehen.

   

Komfortabel oder
unkomfortabel...?

Selbst die bekannte Lehrformel
„Mach es dem Pferd komfortabel,
wenn es tut, was Du
willst, und unkomfortabel,
wenn es etwas tut, was Du
nicht willst“, kann – wenn
man nicht aufpasst – fehlschlagen.
Sie hört sich zunächst pädagogisch
durchaus logisch an,
birgt aber einen erheblichen
Mangel: Denn sie stellt den
menschlichen Willen in den
Vordergrund und lässt unüberprüft,
ob das, was der
Mensch „will“, ihm auch völlig
klar ist, und ob er es dem
Pferd auch so klar gemacht
hat, dass es ihn tatsächlich
verstehen konnte.

Wenn dies nämlich nicht sichergestellt
ist, strafen wir
das Pferd mit Unangenehmem,
nur weil es uns nicht
verstanden hat! Und das ist
dann auch nichts anderes als

Gewalt und Willkür und bedeutet
im Endeffekt immer: Schmerz.

Und Schmerz ist
der schlechteste Lehrer,
denn er verursacht nichts
anderes als Ärger und Angst
und führt zur totalen Blockade
– dem Feind allen Lernens.

Die Alternative lautet: Machen
Sie es Ihrem Pferd so
leicht wie möglich. Woher
sollte die Leichtigkeit sonst
kommen, wenn nicht von Ihnen?
Bei allem, was Sie von Ihrem
Pferd Neues fordern, denken
Sie daran: Respektieren Sie
zunächst seinen Versuch, Sie
zu verstehen! Und lernen Sie
gemeinsam. Außer einer gehörigen
Portion Selbstdisziplin
und innerer Stärke brauchen
Sie vor allem Zeit, um
auf den richtigen Weg zu
kommen.
Und Zeit (das wusste schon
Michael Endes Romanfigur
„Momo“) kann man niemals
sparen. Zeit hat nur derjenige,
der sie ausgibt.

   

Kleine Ziele
Zu Beginn jeden Trainingsschrittes
sollten Sie Ihr jeweiliges
Teilziel für die anstehende
Aufgabe wissen. Das ist
nicht schwer.
Sie beginnen immer mit dem
ersten Ziel, den Versuch Ihres
Pferdes erfühlen (und ihn respektieren)
zu wollen. Das
kann eine minimale Bewegung
sein. Ist Ihnen das gelungen,
kommt das nächste Teilziel:
Sie fordern das Pferd beispielsweise


zu etwas mehr Bewegung auf. Und so geht es
weiter. Stecken Sie dabei Ihre Ziele
so klein wie möglich. Denn kleine Ziele haben die Eigenart, dass man sie relativ leicht erreicht. Die Folge: Man ist entspannt, zufrieden und motiviert für die nächste Aufgabe. Das ist der Auftakt zu jeglichem Erfolg und zu aller Leichtigkeit...